Israel weitet Angriffe im Libanon aus - Beirut meldet mehr als 270 Tote
Israel hat sein militärisches Vorgehen gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon massiv ausgeweitet. Die Armee kündigte am Montag "umfangreichere und präzisere Angriffe gegen Terrorziele" im gesamten Land an und rief erstmals die libanesische Bevölkerung auf, sich in Sicherheit zu bringen. Nach eigenen Angaben griff die israelische Armee am Montag mehr als 800 Hisbollah-Ziele an. Die libanesische Regierung sprach von 274 Toten und hunderten Verletzten. Am frühen Abend meldeten libanesische Medien neue Angriffe im Osten.
Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte bei einer Pressekonferenz, Zivilisten in libanesischen Dörfern, "die sich in oder in der Nähe von Gebäuden und Gebieten befinden, die von der Hisbollah für militärische Zwecke genutzt werden", sollten diese zu ihrer eigenen Sicherheit meiden.
Laut der libanesischen Nachrichtenagentur erhielten Menschen in der Hauptstadt Beirut und anderen Gebieten des Libanon Nachrichten auf ihre Festnetztelefone, in denen sie aufgefordert wurden, sich in Sicherheit zu bringen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums flohen tausende Familien.
Die nationale libanesische Nachrichtenagentur berichtete, dass innerhalb einer halben Stunde "mehr als 80 Luftangriffe" auf den Süden des Libanons geflogen worden seien. Auch die östliche Bekaa-Ebene sei angegriffen worden.
Das libanesische Gesundheitsministerium gab an, dass bei den Angriffen 274 Menschen getötet und mehr als tausend Menschen verletzt worden seien. Auch 21 Kinder, 29 Frauen und Rettungskräfte seien gestorben, hieß es. Es war demnach die höchste Opferzahl seit Beginn der grenzüberschreitenden Gefechte vor rund einem Jahr.
Am Nachmittag kündigte Hagari "einen großangelegten und gezielten Angriff in der Bekaa-Ebene" im Osten des Libanon an. "In den Häusern in der Bekaa-Ebene gibt es Raketen und Drohnen." Diese wolle die israelische Armee nun "angreifen, bevor sie eine Gefahr für die Bewohner Israels darstellen".
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einer Veränderung des "Sicherheitsgleichgewichts". "Ich habe versprochen, wir würden das Sicherheitsgleichgewicht, die Machtverhältnisse im Norden ändern - und das ist genau das, was wir tun", sagte Netanjahu während eines Sicherheitstreffens. Israels Strategie sei es, Bedrohungen zuvorzukommen, anstatt auf sie zu "warten".
Der Konflikt zwischen Israel und der mit der radikalislamischen Hamas verbündeten pro-iranischen Hisbollah hatte sich in den vergangenen Tagen nochmals verschärft. Mit einem gezielten Luftangriff tötete die israelische Armee in Beirut mehrere ranghohe Hisbollah-Kommandeure, zudem gab sie die Zerstörung tausender Raketenabschussrampen im Südlibanon bekannt.
Ungeachtet der massiven israelischen Angriffe verstärkte die pro-iranische Hisbollah ihrerseits am Wochenende ebenfalls ihre Angriffe. Auch am Montag wurden laut Angaben der Miliz als Reaktion auf den israelischen Beschuss mindestens fünf Ziele bombardiert.
Bereits in der vergangenen Woche hatte sich der Konflikt durch die Explosionen von hunderten Pagern und Walkie-Talkies der Miliz im Libanon zugespitzt. Die Hisbollah macht Israel für die Explosionen verantwortlich. Israel selbst äußerte sich nicht zur Urheberschaft der Explosionen, durch die 39 Menschen starben und tausende weitere verletzt wurden.
Die UN-Beobachtermission Unifil warnte vor den "verheerenden" Folgen einer weiteren Eskalation des Konflikts. Jede weitere Verschärfung "dieser gefährlichen Lage könnte weitreichende und verheerende Folgen" für die Menschen in dem Grenzgebiet und die gesamte Region haben, teilte Unifil mit. Sie äußerte mit Blick auf die massiven israelischen Luftangriffe ihre "große Sorge um die Sicherheit der Zivilisten im Südlibanon".
Der Iran warnte Israel nach Angriffen auf Hochburgen der Hisbollah-Miliz vor "gefährlichen Konsequenzen". Außenministeriumssprecher Nasser Kanani nannte die jüngsten israelischen Angriffe "wahnsinnig" und sprach von einer "ernsthaften Bedrohung für den regionalen und internationalen Frieden". Irans Präsident Massud Peseschkian warf Israel vor, einen "größeren Konflikt" zu wollen.
Der libanesische Regierungschef Nadschib Mikati warf Israel angesichts der Ausweitung der Angriffe einen "Zerstörungsplan" für den Libanon vor. Dieser ziele darauf ab, "libanesische Dörfer und Städte zu vernichten", sagte er bei einer Kabinettssitzung. Er rief die Vereinten Nationen, die UN-Vollversammlung sowie "einflussreiche Länder" auf, Israel davon abzuhalten.
Die Verschärfung des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz dürfte eines der bestimmenden Themen bei der UN-Generaldebatte in New York sein, die am Dienstag beginnt. Die Bundesregierung rief am Montag zur Deeskalation auf. Die Lage sei "extrem angespannt", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es käme jetzt auf "konkrete Schritte der Deeskalation" an. Auch Russland äußerte Befürchtungen über eine mögliche Eskalation.
UN-Generalsekretär António Guterres hatte bereits die Besorgnis geäußert, dass der Libanon zu einem "weiteren Gaza" werden könnte. Der Krieg im Gazastreifen war am 7. Oktober durch einen beispiellosen Angriff der mit der Hisbollah verbündeten radikalislamischen Hamas auf Israel ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben mindestens 1205 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden.
Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden im Zuge der israelischen Offensive als Reaktion auf den Angriff bislang mehr als 41.400 Menschen im Gazastreifen getötet.
L.A. Beltran--LGdM