Opposition in Israel verurteilt Entlassung von Verteidigungsminister Gallant
In Israel regt sich massiver Widerstand gegen die überraschende Entlassung des hochangesehenen Verteidigungsministers Joav Gallant durch Regierungschef Benjamin Netanjahu. In seltener Einigkeit verurteilten Oppositionsführer des gesamten politischen Spektrums Gallants Rauswurf am Mittwoch vor Journalisten als "Gefährdung der nationalen Sicherheit in Zeiten des Krieges". Zuvor hatten landesweit Tausende Israelis gegen Netanjahus Entscheidung protestiert, Gallant mitten im andauernden Mehrfrontenkrieg gegen ihr Land durch den militärisch unerfahrenen Außenminister Israel Katz zu ersetzen.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Jerusalem warfen die vier wichtigsten Oppositionspolitiker des Landes, Jair Lapid, Benny Gantz, Jair Golan und Avigdor Lieberman, Netanjahu vor, seine eigenen politischen Interessen über die des Landes zu stellen.
"Er hatte die Wahl zwischen Schande und Krieg, und er hat sich für die Schande entschieden", empörte sich der frühere Regierungschef Lapid angesichts des massiven militärischen Drucks auf Israel an mehreren Fronten, darunter im Gazastreifen, im Westjordanland, im Libanon und seitens des Iran. "Unsere Soldaten können ihm nicht trauen. Die Bürger Israels können ihm nicht trauen", äußerte Lapid mit Blick auf Netanjahu. Mit der Entlassung Gallants habe dies "ganz Israel" gesehen.
Der führende Oppositionspolitiker Benny Gantz, der Netanjahus Regierung im Juni wegen eines fehlenden Nachkriegsplans für den Gazastreifen verlassen hatte, nannte den Zeitpunkt des Schrittes eine "absolute Sicherheitslücke". "Was sollen unsere Kämpfer im Libanon heute denken, wenn sie sehen, dass der Verteidigungsminister entlassen wird, nachdem er Einberufungsbefehle erteilt hat?", fragte Gantz mit Bezug auf eine am Montag ergangene Genehmigung Gallants zur Einberufung von 7000 wehrfähigen, aber bislang vom Armeedienst ausgenommenen Ultraorthodoxen.
Jair Golan von der Arbeitspartei nannte Netanjahu und seine Regierung "illegitim". Seine Landsleute forderte er auf, in den Generalstreik zu treten. "Nur wenn wir alle beschließen, dass wir bis zu Neuwahlen nicht zur Arbeit erscheinen, wird die Regierung erkennen, dass sie nicht fähig ist zu regieren", sagte er.
Aus Sicht des Israel-Beiteinu-Chefs Avigdor Lieberman sollte Gallants Entlassung "der Verabschiedung von Ausnahmegesetzen" für Ultraorthodoxe den Weg ebnen. Es sei aber "klar, dass ein solcher Schritt in erster Linie der Sicherheit des Landes und der nationalen Stärke schadet", sagte Lieberman, der seit Langem die Armee-Ausnahmeregelung für Ultrareligiöse anprangert.
Bereits in der Nacht zu Mittwoch hatten in Tel Aviv Tausende Demonstranten stundenlang die wichtigste Stadtautobahn blockiert, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP beobachteten. Die Demonstranten skandierten gegen Netanjahu und seine Regierung gerichtete Slogans und schwenkten Israel-Flaggen. Viele trugen Schilder mit Aufschriften wie "Wir verdienen bessere Führer" und "Wir lassen niemanden zurück". Auch in Jerusalem und Haifa gingen die Menschen aus Protest gegen Netanjahus umstrittene Personalentscheidung auf die Straße.
Das Verhältnis zwischen Gallant und Netanjahu gilt seit Langem als zerrüttet. Als Grund für Gallants Entlassung gab Netanjahu am Dienstag an, dass sein Vertrauen in den bisherigen Verteidigungsminister geschwunden sei. Dessen Ressort übernimmt nun der bisherige Außenminister und Netanjahu-Gefolgsmann Katz, neuer Außenminister wird der einstige Netanjahu-Rivale Gideon Saar.
Gallant war in den vergangenen Monaten immer wieder wegen des Kriegs im Gazastreifen mit Netanjahu aneinandergeraten und machte aus seiner abweichenden Ansicht keinen Hehl. Zum Beispiel wollte er ein Abkommen mit der Hamas schließen, um die Geiseln freizubekommen. Auch hätte sich Israel aus seiner Sicht schon weitaus früher stärker auf die nördliche Grenze zum Libanon konzentrieren sollen.
Ein weiterer Streitpunkt betraf die Einberufung wehrfähiger ultraorthodoxer Männer zum Armeedienst. Nach mehr als einem Jahr des Krieges ist die israelische Armee dringend auf neue Soldaten angewiesen, auch um die seitdem im Einsatz befindlichen hunderttausenden Reservisten zu entlasten. Doch die ultraorthodoxen Parteien drohten Netanjahu mit Koalitionsbruch, sollte ein geplantes Gesetz zur Freistellung Ultraorthodoxer vom Wehrdienst im israelischen Parlament scheitern.
Nach seiner Entlassung hatte Gallant seine Kritik an der Regierung mit scharfen Worten erneuert: "Wir dürfen nicht zulassen, dass ein korruptes und fehlerhaftes Gesetz in der Knesset verabschiedet wird, das Zehntausende von Bürgern von der Last befreit", sagte er. Zudem forderte er die Regierung auf, die im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln lebendig nach Hause zu bringen. Dies sei Israels "moralische und ethische Verpflichtung". Andernfalls gebe es "keine Versöhnung" in der Gesellschaft.
Als Reaktion auf seine Entlassung sagte Gallant: "Die Sicherheit des Staates Israels war stets die Mission meines Lebens und wird dies auch immer bleiben."
F.Castillo--LGdM