

Türkei: Inhaftierter Erdogan-Rivale Imamoglu gibt Festnahme seines Anwalts bekannt
Der inhaftierte und abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu hat die Festnahme seines Anwalts bekanntgegeben und dessen sofortige Freilassung gefordert. "Dieses Mal wurde mein Anwalt Mehmet Pehlivan aus erfundenen Gründen festgenommen", schrieb Imamoglu am Freitag im Onlinedienst X. Die Journalistengewerkschaft TGS meldete unterdessen die Festnahme von zwei Journalistinnen.
Imamoglu ist der aussichtsreichste Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan, seine Festnahme in der vergangenen Woche hatte die größten Demonstrationen in der Türkei seit den Gezi-Protesten von 2013 ausgelöst.
"Als wäre der Putschversuch gegen die Demokratie nicht schon genug, können sie es nicht tolerieren, dass sich die Opfer dieses Putsches verteidigen", erklärte Imamoglu am Freitag und forderte: "Lassen Sie meinen Anwalt unverzüglich frei!"
Mit welcher Begründung Pehlivans festgenommen wurde, war zunächst nicht bekannt. Der oppositionelle Sender Halk TV berichtete jedoch, dass dem Anwalt "Geldwäsche von Vermögenswerten aus einer Straftat" vorgeworfen werde.
Trotz eines Versammlungsverbots und obwohl die Polizei mit zunehmender Härte gegen die Demonstranten vorgeht, protestierten am Donnerstagabend erneut tausende Menschen. Am frühen Freitagmorgen wurden erneut mehrere Menschen aus ihren Wohnungen geholt, darunter zwei Journalistinnen.
"Eine weitere Razzia im Morgengrauen", teilte die Gewerkschaft TGS auf X mit. "Zwei unserer Kollegen, die die Proteste auf dem Sarachane-Platz verfolgten, wurden festgenommen", erklärte die Gewerkschaft mit Blick auf den Platz vor der Stadtverwaltung, der seit Tagen Zentrum der Proteste war. Laut TGS handelt es sich bei den Festgenommenen um Nisa Sude Demirel, Reporterin für die Zeitung "Evrensel" und Elif Bayburt, die für die Nachrichtenagentur ETHA arbeitet.
"Lasst Journalisten ihre Arbeit machen! Stoppt die rechtswidrigen Festnahmen!", forderte die Gewerkschaft. "Journalismus ist kein Verbrechen."
Die Behörden gehen seit einigen Tagen verstärkt gegen Medien vor, die über die Proteste berichten. Am Montag waren in Istanbul und Izmir elf Journalisten festgenommen worden, darunter der Fotograf der Nachrichtenagentur AFP, Yasin Akgül. Sie sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß.
Am Donnerstag verhängte die Rundfunkaufsichtsbehörde ein zehntägiges Sendeverbot für den Oppositionskanal Sözcü TV. Dem Sender wurde Aufstachelung der Öffentlichkeit zu "Hass und Feindseligkeiten" vorgeworfen. Zudem wurde ein Korrespondent des britischen Senders BBC ausgewiesen, der über die Proteste berichtet hatte.
Die Istanbuler Anwaltskammer teilte mit, dass zwischen dem 22. und dem 25. März 20 minderjährige Demonstranten festgenommen worden seien, da sie gegen das verhängte Versammlungsverbot verstoßen hätten. 13 von ihnen seien wieder frei, sieben seien jedoch noch in Gewahrsam, erklärte die Anwaltskammer bei X.
Nach Angaben des Innenministeriums sind seit Beginn der Massenproteste insgesamt 1879 Menschen festgenommen worden. Demnach befinden sich 260 von ihnen in Untersuchungshaft, 468 wurden unter Auflagen freigelassen, 662 Fälle sind noch in Bearbeitung. 489 Festgenommene wurden wieder freigelassen.
Das gewaltsame Vorgehen der Regierung gegen die Proteste stößt international auf scharfe Kritik. Am Donnerstag äußerte sich US-Außenminister Marco Rubio "besorgt" über die Lage. "Wir beobachten das Geschehen. Wir haben unsere Besorgnis zum Ausdruck gebracht", sagte er zu Journalisten. Washington sehe "eine solche Instabilität in der Regierung eines Landes, das ein so enger Verbündeter ist, nicht gerne".
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir forderte im Umgang mit der Türkei "Kooperation und Kritik" zugleich: "Naivität im Umgang mit Autokratien können wir uns nicht mehr leisten. Erdogan ist kein verlässlicher Partner. Kooperation und klare Kritik - wir brauchen beides, sonst machen wir uns unglaubwürdig," sagte der türkischstämmige Politiker in einem Interview der Nachrichtenagentur AFP.
Nach Ansicht Özdemirs hatte Erdogan nicht damit gerechnet, dass die Verhaftung Imamoglus eine derart heftige Reaktion in der Bevölkerung auslösen würde. "Das Ausmaß der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht, weil Erdogan in der Vergangenheit mit seinen Manövern durchgekommen ist", sagte der amtierende Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Bildung und Forschung.
Imamoglu war am 19. März festgenommen worden. Am Sonntag ordnete ein Gericht wegen Vorwürfen der Korruption Untersuchungshaft für ihn an. Wenig später suspendierte ihn dann das Innenministerium von seinem Amt als Bürgermeister. Dennoch wurde Imamoglu am Montag von seiner linksnationalistischen Partei CHP zum Präsidentschaftskandidaten gekürt.
A.Gonzalez--LGdM